Vier Wochen trennen uns jetzt von den Ereignissen am 7. Oktober 2023 in Israel: Die islamistische Terrororganisation Hamas hat aus dem Gaza-Streifen heraus das brutalste und barbarischste Verbrechen an Jüdinnen und Juden seit dem von Deutschen begangenen Zivilisationsbruch der Shoa, dem Holocaust, begangen. In jedes jüdische Leben verachtender Weise zogen Brigaden des Mordens durch israelische Kibbuzime, tausende Raketen schlugen wahllos in israelischen Städten ein.

Es waren Israelis, die diesen Samstag im Oktober als dunkelsten Tag in der Geschichte beschrieben haben. Uns Deutsche müssen nicht nur die unerträglichen Bilder und Videos der Schlächter sondern vor allem dieses selbstempfundene Gefühl von Jüdinnen und Juden aufschrecken lassen. Der israelische Botschafter in Deutschland, Ron Prosor, macht in unermüdlicher Weise darauf aufmerksam, was Israel von uns erwartet: Solidarität.

Ja, Olaf Scholz hat als einer der ersten Regierungschefs Israel besucht – und seine Solidarität ausgedrückt. Ja, der Deutsche Bundestag hat in einer fraktionsübergreifenden Resolution die Angriffe verurteilt – und seine Solidarität ausgedrückt. Ja, die Parteien der politischen Mitte haben sich in einer sofortigen gemeinsamen Erklärung an die Seite Israels gestellt – und ihre Solidarität ausgedrückt. An Solidaritätsbekundungen mangelt es in Deutschland wahrlich nicht.

Und doch erleben wir eine schier ohnmächtige Hemmung der politischen Verantwortlichen, wenn es um konkretes Handeln geht. Ohne Frage: Symbole und Bekundungen sind wichtig, Konsequenz und Aktion sind aber das Notwendige. Es rächt sich, dass das Wort der deutschen Staatsräson niemals hinterfragt und mit Inhalt ausgefüllt wurde. „Und wenn das so ist, dann dürfen das in der Stunde der Bewährung keine leeren Worte bleiben.“, so Bundeskanzlerin Merkel am 18. März 2008 vor der Knesset in Israel.

Die Stunde der Bewährung ist längst da. „Nie wieder ist jetzt“ ist zum Ausruf der so entschlossen vertretenen Staatsräson geworden. Doch bleibt dieser Ausruf angesichts der Attacken auf Juden in Deutschland, angesichts des sich bald täglich mächtiger inszenierenden islamischen Mobs auf deutschen Straßen, angesichts einer als Diplomatie verbrämten Enthaltung in der Generalversammlung der UN zur Nicht-Verurteilung der Hamas genau das, was Angela Merkel ausgeschlossen hat: Leere Worte.

Nein, wir haben es uns in den letzten Jahrzehnten schlicht zu einfach gemacht. Dass jüdisches Leben in Deutschland geschützt werden muss, haben wir von der Unerträglichkeit, die das sein müsste, zur Normalität werden lassen. Die Stunde der Bewährung ist folglich nichts, was wir als Lehre aus dem 7. Oktober ziehen müssen, die Stunde der Bewährung hätte der Moment sein müssen, an dem die erste Synagoge, die erste jüdische Schule, das erste Mahnmal beschützt und bewacht werden musste. Deutschland hat in seiner „historischen Verantwortung“, wie Merkel es in Israel ausdrückte, schlicht versagt. Dabei ist es nun ebenso nicht hilfreich, dass Bundespräsident Steinmeier den Schutz jüdischen Lebens kurzerhand auch zur Bürgerpflicht erhebt, ohne dass auch hier konkret wird, was das bedeuten soll. Im Grunde bleibt es schlicht erschreckend, dass diese vermutete Selbstverständlichkeit nun zur Besonderheit erklärt wird.

Wir haben weggeschaut, uns weggeduckt, als jüdisches Leben längst bedroht war in Deutschland. Das heute anzuerkennen ist der erste Schritt. Es geht dabei nicht nur um die Korrektur einer fehlgeschlagenen Migrations- und Integrationspolitik, es geht dabei auch um die schmerzhafte Erkenntnis über das, was hier im Land möglich war und ist. Dass sich der Antisemitismus seinen Platz inmitten unserer Gesellschaft schleichend genommen hat, zwingt uns aus Verantwortung, Überzeugung und eben Staatsräson zum sofortigen Handeln: Gefühlige Debatten über Multi-Kulti gehören einem Faktencheck unterzogen, reflexartige Diffamierungen jeder Diskussion um Einwanderung und Islam als rassistisch und rechtsextrem müssen aufhören, Leuchtturmprojekte und symbolische Begegnungen im Gegensatz zur tagtäglichen, angsteinflößenden Realität für Jüdinnen und Juden in Deutschland dürfen nicht länger als Feigenblatt vorgeschoben werden.

Wenn unsere Demokratie wehrhaft sein will, muss sie auch erkennen, dass die Aufmärsche der Judenhasser und Israelfeinde immer auch unsere Demokratie, unser Selbstverständnis von Gesellschaft und Zusammenleben attackieren. „Nie wieder ist jetzt“ muss auch bedeuten, dass wir Feinden der liberalen Gesellschaft nicht das Feld überlassen, dass Anti-Demokraten keinen Fuß auf den Boden bekommen. Eine verunsicherte Gesellschaft war schon einmal der Nährboden für Extremisten in der deutschen Geschichte.

Paul Celan fasste die doch unfassbaren Gräueltaten und das Menschheitsverbrechen in Auschwitz in sein Gedicht „Todesfuge“: Der Tod ist ein Meister aus Deutschland. Es ist nun die Stunde der Bewährung, ob Deutschland endlich auch für jüdisches Leben konsequent und bedingungslos eintreten will.

Stehen wir jetzt auf, fangen wir jetzt an mit Gesetzen, Vorschriften und Verordnungen dafür zur sorgen, dass jüdisches Leben Normalität in Deutschland wird. Kommen wir aus dem Reden endlich ins Machen, wenn auch nicht nur mit vier Wochen, sondern mit Jahrzehnten Verspätung.