Ich liebe Israel. Wann immer mich jemand nach meinem Lieblingsreiseziel fragt, brauche ich keine Sekunde des Überlegens. Die Antwort ist immer klar: Israel. Seitdem ich im Jahr 2000 zum ersten Mal dieses Land bereisen durfte, bin ich fasziniert von seiner Vielfalt, seiner Lebendigkeit, seiner Widersprüchlichkeit – und der Wärme, der Offenheit, der Freundlichkeit und Zugewandtheit seiner Menschen. Tel Aviv bei Sonnenuntergang, Jerusalem im Morgenlicht, Tiberias an einem lauen Sommerabend – diese Orte tragen für mich Erinnerungen, die sich eingebrannt haben. Die Entscheidung der Bundesregierung vom gestrigen Tag empfinde ich nicht nur politisch, sondern auch persönlich.
Bundeskanzler Friedrich Merz hat erklärt, Deutschland werde vorerst keine Rüstungsgüter mehr liefern, die im Gazastreifen eingesetzt werden könnten. Politisch ist das ein Schritt von Gewicht. Historisch ist es ein Bruch mit einer Linie, die sich nicht zufällig, sondern bewusst aus der Geschichte der Bundesrepublik entwickelt hat – und deren Fundament die CDU mitgeformt und getragen hat.
Diese Linie beginnt nicht gestern, und sie begann auch nicht mit den Schlagzeilen des letzten Jahres. Sie reicht zurück in den September 1952, als die Bundesrepublik Deutschland und der Staat Israel in Luxemburg das Luxemburger Abkommen unterzeichneten – ein Schritt, den Konrad Adenauer politisch maßgeblich vorbereitet und verantwortet hatte. Es war mehr als eine finanzielle Vereinbarung. Es war der politische Grundstein für eine Beziehung, die auf dem Bewusstsein deutscher Schuld beruhte und zugleich auf der Überzeugung, dass daraus eine besondere Verantwortung erwächst. Willy Brandt knüpfte daran an, als er mit seinem Kniefall in Warschau ein Bild schuf, das für die Glaubwürdigkeit deutscher Politik weltweit stand. Helmut Kohl hielt in schwierigen Zeiten am israelischen Partner fest, auch wenn internationale Kritik laut wurde. Angela Merkel formulierte 2008 im israelischen Parlament die Sicherheit Israels als Teil deutscher Staatsräson – ein Satz, der in Jerusalem und Tel Aviv mit stehenden Ovationen beantwortet wurde und in Berlin zur Selbstverständlichkeit der Außenpolitik erhoben wurde. Diese Staatsräson wurde mit dem 7. Oktober 2023 zum Prüfstein einer viel zu oft nur in Sonntagsreden zur Schau gestellten Solidarität, wie ich HIER bereits 2023 geschrieben habe.
All diese Gesten, Entscheidungen, Worte bildeten das, was man das Fundament nennen kann: eine Verbindung, die sich nicht aus Opportunität speist, sondern aus einer historisch gewachsenen Unbedingtheit. Eine Verbindung, die auch die CDU über Jahrzehnte geprägt hat: als moralische Gewissheit, nicht als taktische Option.
Wer dieses Fundament ernst nimmt, begreift die Beziehung zu Israel nicht als diplomatische Zweckgemeinschaft, sondern als eine Freundschaft, die stark genug ist, nicht nur Zustimmung, sondern auch Kritik auszuhalten. Und gerade deshalb schmerzt es, wenn diese Kritik nicht gehört wird. Wenn Monate vergehen, in denen Sorgen wachsen, Hinweise gegeben werden, Bitten ausgesprochen sind – und die befreundete Regierung in Jerusalem nicht reagiert. Wenn Mahnungen, erst leise, dann deutlicher, ungehört verhallen. Dann wird aus fester Loyalität allmählich Enttäuschung. Nicht, weil sich die Grundhaltung geändert hätte, sondern weil man feststellt, dass die andere Seite diese Haltung nicht mehr erwidert.
Die Regierung Netanjahu hat in den vergangenen Monaten Entscheidungen getroffen, die selbst enge Freunde Israels schwer nachvollziehen konnten: die Eskalation in Gaza ohne klare politische Exit-Strategie, das Ignorieren internationaler Appelle zu humanitären Pausen, das Ausblenden der langfristigen strategischen Kosten. Wer Israel wirklich verbunden ist, fragt sich, warum eine Regierung, die den Wert von Allianzen kennt, nicht auf die Stimmen hört, die ihr am wohlgesinntesten sind.
Aber während wir über Politik sprechen, bestimmen nicht nur im Hintergrund Bilder, die jede Debatte in den Schatten stellen. Die Aufnahmen der Geiseln, die die Hamas in den vergangenen Wochen veröffentlichte, brennen sich ein: Evyatar David, ausgemergelt, gezwungen, in einem unterirdischen Tunnel sein eigenes Grab zu schaufeln, bevor er in stockendem Hebräisch eine erzwungene Botschaft spricht. Rom Braslavski, der in einer Videobotschaft so schwach wirkt, dass seine Mutter öffentlich fleht, ihn nicht sterben zu lassen. Namen der Geiseln, ihre Gesichter, ihre menschenverachtende Schicksale, die nicht verhandelbar sind.
Diese Bilder reißen die Diskussion aus dem Abstrakten. Sie zeigen, was es heißt, wenn Israel sagt, es kämpfe um sein Überleben. Sie machen deutlich, warum die historische Verantwortung Deutschlands nicht in den Büros der Regierungsgebäude endet, sondern im Angesicht dieser Menschen weitergeht.
All das – die Geschichte, die Freundschaft, die Enttäuschung, die Bilder – gehört in die Entscheidung, die die Bundesregierung getroffen hat. Und all das hätte in ihrer Kommunikation mitschwingen müssen. Es geht nicht nur darum, ob man liefert oder nicht, sondern darum, wie man in einem solchen Moment spricht – zumal die Exporte jener Güter, die theoretisch im Gazastreifen eingesetzt werden könnten, ohnehin nur einen marginalen Anteil ausmachen und, wie selbst Sicherheitsexperten bestätigen, die Kampffähigkeit der stolzen und entschlossenen israelischen Verteidigungskräfte nicht im Geringsten beeinträchtigen. Es geht darum, ob man erkennen lässt, dass man das Fundament kennt, auf dem man steht. Ob man zeigt, dass Freundschaft nicht nur eine politische Formel ist, sondern eine gelebte Wirklichkeit, die man nicht leichtfertig aufs Spiel setzt.
Denn das, was wir Freundschaft nennen, ist in dieser besonderen Beziehung zwischen Deutschland und Israel nie nur Gefühl gewesen und nie nur Politik. Es ist eine Mischung aus beidem – getragen von Geschichte, Schuld, Verantwortung, und zugleich von Nähe, Vertrauen, Respekt. Wer wie ich Menschen in Israel kennt, wer dort Freunde hat, mit ihnen gefeiert, gestritten, getrauert hat, weiß, dass diese persönliche Erfahrungen sich nicht von der staatlichen Ebene trennen lässt. Sie durchdringt sie.
Gerade als CDU verstehen wir den Charakter dieser Beziehung anders als andere. Wir haben ihn immer als Teil unserer politischen Identität begriffen. Wir wissen, dass es Momente geben kann, in denen Kritik notwendig ist – ja, sogar scharf werden muss. Aber wir wissen ebenso, dass diese Kritik niemals den Schatten eines Zweifels an der Freundschaft werfen darf. Dass es keine Situation geben darf, in der unser Gegenüber – und die Welt – nicht spürt: Dies ist der Blick eines Freundes, nicht der eines Richters.
Diese Unterscheidung ist mehr als semantisch. Sie ist das unsichtbare Fundament, auf dem Verständigung auch in Krisen steht. Sie macht es möglich, zugleich loyal und ehrlich zu sein. Sie bewahrt davor, dass politische Entscheidungen – so berechtigt sie sein mögen – zu Signalen werden, die Freundschaft infrage stellen. Das ist die Verantwortung, die wir als CDU in dieser Beziehung tragen: nicht nur Entscheidungen zu treffen, sondern sie so zu formulieren, dass sie den Kern dieser Verbindung unberührt lassen.
Vielleicht ist das die eigentliche Leerstelle dieser Woche: dass man den Schritt nachvollziehen kann – und doch das Gefühl bleibt, er sei nicht aus der Tiefe jener Geschichte heraus getan worden, die ihn tragen könnte. Der Schritt, in seiner eindimensional ausgerichteten Art, erscheint als Folge der seit Wochen und Monaten unbefriedigenden Diplomatie – als die Kälte einer diplomatischen Abfolge, die den Kern dieser besonderen Beziehung nicht mehr berührt.
Aber Freundschaft ist mehr als das Verwalten von Abfolgen. Sie ist kein Rechenvorgang und keine bilaterale Routine. Zwischen Menschen ist sie ein Raum, in dem man das Unbequeme sagen kann, ohne die Bindung zu gefährden. Ein Raum, der in seiner Tiefe nicht nur von guten Tagen lebt, sondern gerade dann trägt, wenn es schwer wird.
Für Deutschland heißt das: Diese besondere Verbindung zu Israel muss immer auch in der Öffentlichkeit sichtbar sein. Nicht nur in stillen Hintergrundgesprächen oder vertraulichen Noten, sondern in Worten, die den Charakter dieser Beziehung tragen und bezeugen. In Momenten, in denen Entscheidungen getroffen werden, muss die öffentliche Kommunikation mehr sein als eine technische Erklärung. Sie muss zeigen, dass auch im Widerspruch die Freundschaft der Boden ist, auf dem man steht. Und am Ende ist es genau das – die öffentliche Kommunikation –, die diesen besonderen Charakter belegt. Ohne sie bleibt selbst die beste Absicht unsichtbar.
Wolfgang Schäuble hat einmal, in Bezug auf die Unbedingtheit der deutsch-französischen Freundschaft, gesagt: „Der französische Finanzminister ist mein Freund, ganz egal wie er heißt.“ Das war mehr als ein Bonmot, es war die Beschreibung einer Haltung, die nicht an Personen gebunden ist, sondern an Prinzipien. Übertragen auf Israel heißt das: Ganz gleich, wer in Jerusalem regiert, ganz gleich, welche Meinungsverschiedenheiten es gibt – die Freundschaft steht.
Vielleicht ist gerade jetzt der Moment, in dem der Bundeskanzler selbst in Jerusalem zeigen sollte, was diese Freundschaft bedeutet – nicht in Form einer Pressemitteilung, nicht als nüchterne diplomatische Note, sondern indem er dort steht, mit offenen Augen und offenen Worten. Eine Reise in mein Lieblingsland, zu einem Volk, zu Menschen, die die Bundesrepublik seit Anbeginn und mich seit 25 Jahren prägen, wäre das stärkste und zugleich notwendige Signal, das er in dieser Lage senden könnte.
Ja, es stimmt: Staaten haben keine Freunde, sondern Interessen. Nur bei Israel muss es anders sein.