Es ist ein immer gleiches Ritual. Ein bürgerlich-konservativer Politiker benennt ein Problem, die Timeline explodiert, Leitartikel ordnen moralisch ein, und irgendwer entdeckt ein neues „-ismus“-Etikett, das gestern noch niemand kannte. Diesmal geht es um Friedrich Merz und das „Stadtbild“. Tage der Entrüstung, Hashtags, Demos vor dem KAH und dann kommt die Realität vorbei. Denn laut ZDF-Politbarometer stimmen 63 Prozent der Deutschen der Kernaussage zu.
Das Muster ist alt. Erst wird die semantische Intention diskutiert, dann die Intonation, dann die Intention der Intonation. Und während sich Teile von Politik und Medien in ihrer moralischen Selbstvergewisserung drehen, melden sich Menschen, die das konkret betrifft – auch viele mit Einwanderungsgeschichte – und sagen: Ja, da gibt’s Probleme. Leider passt das nicht in die Dramaturgie. Selbst wenn der Fürsprecher als Flüchtling aus Syrien kam und jetzt ein grüner Bürgermeister ist. Im Zweifel ein Token.
Katrin Göring-Eckardt setzte der Woche die Kirsche auf den Döner mit einem Halloumi-Foto als ironische Retourkutsche und Symbol für ein vielfältiges Stadtbild, oder so. Es war weder gut gemeint noch gut gemacht. Statt Pointe wurde sichtbar, wie tief der latent rassistische Blick selbst dort sitzt, wo man ihn ständig bei anderen wittert. Das doppelte Rückrudern war keine Einsicht, sondern ein Reflex. Wer sich moralisch immunisiert, muss nie falsch liegen – nur die Bevölkerung liegt falsch.
Wer mir bei Twitter folgt, kennt den Refrain: Told you so. Denn bei den „umstrittenen“ Merz-Linien zeigt sich wiederholt breite Zustimmung in der Bevölkerung und zugleich Sturm im Medienbetrieb. Ob Stadtbild, Pascha, Weihnachtsbaum, Kinderbuchautor, differenzierte Einordnung zum Umgang mit der AfD auf Kommunalebene, Grenzkontrollen oder Rückführung. Es geht in der Kommentierung meist um Semantik, Empörungsrituale und das Zementieren eines Weltbildes, das schon längst an der Realität zerschellt ist. Die meisten Menschen, die morgens nicht in einer Parteistiftung oder NGO einchecken, haben längst entschieden: Merz hat recht.
Die Rolle unserer Medien ist dabei auch immer eine spezielle. Natürlich sollen Medien kritisieren, sezieren, widersprechen, bitte noch mehr davon. Problematisch wird es, wenn Empörung zur Produktionslogik wird. Ein maximal aufgeladener Frame am Anfang, eine Kaskade aus Talkshows und Push-Notifications in der Mitte, und am Ende, wenn Daten kommen, keine echte Korrektur. Genau das sehen wir gerade wieder. Bei „Stadtbild“ liegen am Freitag die Zahlen auf dem Tisch, doch manche nehmen die Rassismus-Debatte lieber mit ins Wochenende, statt nüchtern nachzuarbeiten. Die Helden unter den Haltungsjournalisten erklären uns, dass der Bürger so doof ist, dass ohne die langatmige und abgelesen Erklärung von Merz, sie seiner Aussage nicht zugestimmt hätten. Offensichtlich ist auch die Selbstachtung bei manchen schon im Wochenende.
Spaltung entsteht nicht, weil Probleme benannt werden, sondern weil ihre Benennung moralisch pathologisiert wird. Wer den Diskurs so betreibt, treibt die bürgerliche Mitte aus den Feuilletons hinaus und wundert sich dann über die nächste Protestwelle. Vorne marschieren die Semantik-Ritter. Dabei ist „Stadtbild“ kein ästhetischer Begriff, sondern ein Governance-Begriff: Sicherheit an Hotspots, Durchsetzung von Regeln, sichtbare Präsenz des Staates. Hessens Ministerpräsident Boris Rhein hat das in der Debatte sauber auf den Punkt gebracht: Es „ist nicht alles in Ordnung“. Betonpoller an Volksfesten sind keine Kunstinstallation; Waffenverbotszonen sind keine Street-Art. Wer das anspricht, ist nicht „rechts“, sondern bei Verstand.
Zum Schluss möchte ich noch einen Appell an Friedrich Merz richten:
Herr Bundeskanzler, Sie gewinnen, wenn Sie bei Tatsachen bleiben und dem Shitstorm standhalten. Immer dann, wenn Sie nicht um den Goodwill der Hauptstadtpresse buhlen, sondern nüchtern Problembeschreibung und Lösungsvorschläge liefern, stiegen Profil und Respekt – auch über die Union hinaus. Die Datenlage zur „Stadtbild“-Debatte bestärkt genau diese Linie.
Also, weniger Rücksicht auf sensible Koalitionspartner, mehr Rücksicht auf die Realität im öffentlichen Raum. Deutschland hat keinen Mangel an Problemen, sondern an Politikern, die sie aussprechen. Tun Sie es.
Sie brauchen keine Applausordnung der Hauptstadtpresse. Die Mehrheit steht längst hinter Ihnen. Told you so.