Die aktuell wieder kolportierte Spaltung der Gesellschaft, die wir an öffentlich ausgetragenen Meinungsverschiedenheiten über politische Themen festmachen, ist in Wirklichkeit das Ergebnis tiefergreifenden Konflikts innerhalb der Parteienlandschaft. Die Institutionen, die einst als Vehikel der kollektiven Interessenvertretung galten, sind zu Schlachtfeldern für ideologische Reinheit geworden. In einer Zeit, in der politische Ideologien in scheinbar unversöhnliche Extreme abdriften, geraten die Bürger zunehmend zwischen die Fronten parteipolitischer Auseinandersetzungen.
Die kürzlich veröffentlichten Forschungsergebnisse von Steffen Mau werfen ein Licht auf diese Polarisierung der Gesellschaft und geben Einblick in die Mechanismen, die zu der Zerrissenheit beitragen. Mau erklärt, dass die gesellschaftliche Kluft auf tiefer liegende strukturelle Veränderungen und soziale Fragmentierungen zurückzuführen ist. Seine Analysen machen deutlich, dass die Intensität der Konflikte zugenommen hat und dass die wahrgenommene Spaltung durch eine öffentlich ausgetragene Streitkultur genährt wird.
In einer Welt, die nur noch Schwarz-Weiß zu kennen scheint, suchen immer mehr Menschen eine klare Zugehörigkeit zu politischen Lagern – Ampel und Opposition, links und rechts, progressiv und konservativ. Die Politisierung aller gesellschaftlichen Bereiche zeigt, wie Identität heute mehr denn je durch politische Überzeugungen geprägt wird. Die Haltung zu politischen Themen bestimmt nicht nur den individuellen Standpunkt, sondern beeinflusst auch Freundeskreise und Familienbeziehungen. Dabei wird die soziale Identität zu einem zentralen Element, wie bereits die Sozialpsychologien Henri Tajfel und John C. Turner in den 1980er Jahren verdeutlicht haben. Der Selbstwert wird definiert durch Gruppenzugehörigkeit und Abgrenzung. In diesem von Lagerdenken geprägten Umfeld wird das Private wieder politisch.
Traditionell als kollektive Vertretungsinstrumente konzipiert, sollten Parteien Positionen kanalisieren und Lösungen anbieten. Die digitale Welt und die sozialen Medien haben jedoch neue Kanäle geschaffen, die die Repräsentation fragmentieren. Die entstandenen Echokammern für Partikularinteressen mit verabsolutierten Positionen verstärken die Polarisierung. Meinungen, die die eigene Position bestätigen, werden verstärkt, während Andersdenkende zum Schweigen gebracht werden. Diese digitale Polarisierung vertieft die Gräben zwischen den gesellschaftlichen Akteuren und schafft eine Wir-gegen-die-Mentalität, die den eigentlichen Kern einer auf Konsens ausgerichteten Gesellschaft untergräbt.
Die Risse zwischen den Parteien der Mitte, die öffentlich medial zelebriert werden, wirken sich direkt auf die Gesellschaft aus. Statt gemeinsam drängende Probleme anzugehen, werden Themen für den kurzfristigen politischen Gewinn instrumentalisiert. Dies behindert nicht nur die Entwicklung einer ausgewogenen Politik, sondern schafft auch ein Umfeld, in dem Kompromisse als Verrat angesehen werden. Und ob sich diese Strategie in nachhaltig besseren Wahlergebnissen niederschlägt, bleibt zumindest fraglich.
Eine Rückkehr zu einem konstruktiven und zukunftsorientierten Ansatz, bei dem die Parteien ihre unterschiedlichen Schwerpunkte einbringen, um gemeinsame Lösungen zu finden, ist entscheidend, um die wachsenden Risse im sozialen Gefüge zu heilen. Nur durch die Förderung eines politischen Umfelds, das den Dialog unterstützt, Pragmatismus über Ideologie stellt und das Wohl des Landes über parteipolitische Interessen, können wir diese Spaltung überwinden.
Dies bedeutet jedoch nicht, einer Einheitspartei der Mitte mit kaum unterscheidbaren Positionen das Wort zu reden. Ganz im Gegenteil. Eine größtmögliche Unterscheidbarkeit der Parteien, ein klares Profil in der Darstellung der eigenen politischen Ziele, ohne die Realitäten des parlamentarischen Systems zu vernachlässigen, wäre ein erster Schritt. Am Ende zählt aber, was hinten rauskommt: Politik, die reale Probleme löst. Und eines ist sicher: Diese wird nicht schwarz-weiß sein, sondern kunterbunte Graustufen haben.